Inhalt

5,8 Minuten zu lesen

New York, Rio, Tokio?! Ach komm, das kann doch nun wirklich jeder. Die wahren Städtetripkenner erobern unentdeckte und unterbewertete Städte. Und so verbringe ich das Wochenende in Duisburg. Was, Duisburg? Was gibt’s denn da schon zu sehen, fragst du. So viel, dass zweieinhalb Tage gerade mal so ausreichen.

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New York, Rio, Tokio?! Ach komm, das kann doch nun wirklich jeder. Die wahren Städtetripkenner erobern unentdeckte und unterbewertete Städte. Und so verbringe ich das Wochenende in Duisburg. Was, Duisburg? Was gibt’s denn da schon zu sehen, fragst du. So viel, dass zweieinhalb Tage gerade mal so ausreichen.

Der Duisburger Innenhafen

Einleitung

R

uhrgebiet – da denkt man an schwitzende Kumpel an Hochöfen und an Atemnot in einer Industrielandschaft, die unter dicken Rußwolken versinkt. Umso mehr verblüfft mich, wie grün Duisburg ist – und wieviel Wasser es gibt. Die Stadt ist praktisch durchzogen von Kanälen. Klar, diese wurden nicht angelegt, um Wochenendbesucher wie mich zu erfreuen. Duisburg überrascht schließlich mit dem größten Binnenhafen der Welt, und er wird immer noch als Industriehafen betrieben. Dennoch verlor er mit dem Rückgang der Stahlproduktion Ende der 1960er Jahre an Bedeutung.

Doch in jedem Ende liegt ein neuer Anfang. Duisburgs Stadtplaner haben sich diesen Satz des spanischen Dichters Unamuno zu Herzen genommen und mit der Umstrukturierung die Besten der Besten beauftragt. Unter Sir Norman Fosters Ägide wurde der Hafen in den 1990er Jahren zu einem lebendinge Quartier umgestaltet. Großmeister der Architektur wie Herzog & de Meuron oder Ortner & Ortner haben mal feucht durchgewischt und den alten Gemäuern ihren gestalterischen Stempel aufgedrückt. Heute ist der Innenhafen ein Industriedenkmal, in dem auch Kunst und Design vor Anker gehen.

Treppenhaus im MKM

Lehmbruckmuseum

Museen

I

ch komme nach Duisburg in erster Linie wegen der Kunst, und deshalb ist mir das Museum Küppersmühle im Innenhafen der wichtigste Bau. Nicht nur, dass die Mühle von 1860 unter anderem von meinen Lieblingsarchitekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron umfunktioniert wurde. Ich erfreue mich auch immer wieder, hier auf die Meisterwerke der Wunderknaben wilder deutscher Nachkriegskunst wie Gerhard Richter, Jörg Immendorf und Anselm Kiefer zu treffen.

Man möchte meinen, eine so bedeutende Sammlung wie die der Küppersmühle dürfte für eine Stadt völlig ausreichend sein. Weit gefehlt, wenn’s um Kunst geht, kennt Duisburg kaum ein Limit. Am Immanuel-Kant-Park steht ein anderes architektonisches Juwel, vollgepackt mit bedeutenden Werken. Der renommierte Museumsarchitekt Manfred Lehmbruck hat hier den expressiven Werken seines Vaters, Bildhauer Wilhelm Lehmbruck, ein außergewöhnliches Zuhause geschaffen. Durch die raffinierte Architektur werden die Skulpturen immer wieder aus neuen Winkeln beschienen, was ihnen einen geheimnisvollen Zauber verleiht. Neben der beeindruckenden ständigen Sammlung, die neben Lehmbrucks Arbeiten viele weiter expressionistische Plastiken umfasst, werden auch tolle Wechselausstellungen zeitgenössischer Künstler organisiert. Gerade in diesem Moment zeigen sie die großartigen Installationen der kanadischen Künstler Janet Cardiff und Goerge Bures Miller. Wer vor Mai 2023 die Möglichkeit hat, das Lehmbruck Museum zu besuchen, den erwartet ein optischer und – ja: akustischer – Leckerbissen!

 

Tiger & Turtle

Landschaftspark Duisburg

Kunstobjekte „Neustadt“

Besondere Orte

A

All die Orte, die einen Besuch in Duisburg lohnenswert machen und die ich hier alle gar nicht aufzählen kann, liegen recht weit verstreut. Doch mit der Stadtbahn, einem Hybrid aus U-Bahn und nostalgischer Tram, sind sie schnell zu erreichen. Im Zugabteil hat sich die Welt versammelt. Was im hippen Berlin Meltingpot heißt, wird im Falle von Duisburg bürokratisch Ausländeranteil genannt. In beiden Fällen bedeutet es aber dasselbe: Eine atemberaubende Vielfalt unterschiedlicher Kulturen – was sich übrigens nicht zuletzt im gastronomischen Angebot der Stadt widerspiegelt. So geht es mit der Bahn vorbei an afrikanischen Shops, arabischen Imbissen und türkischen Teehäusern in Richtung Tiger & Turtle.

Nein, das ist nicht eine drollige Bezeichnung für Duisburgs Zoo. Es handelt sich um eine am südlichen Rand der Stadt gelegene Achterbahn. Eine Achterbahn – na und?!

Nun, bei Ihrem Entwurf scheinen die Künstler Heike Mutter und Ulrich Genth wesentliche Teile vergessen zu haben: Es gibt weder Schienen noch Wagen. Um hier ‘mitzufahren’, musst du die 497 Stufen schon selber rauf und wieder runter gehen. Allerdings ersparen sie dir die Loopings, aber das ist ja wohl das Mindeste!

Ach was, ich mach nur Spaß: Tiger & Turtle ist ein ungewöhnliches Kunstwerk, ein Riesenspaß für Leute wie dich und ein Höllentrip für mich; ich habe nämlich fürchterliche Höhenangst.

Bevor das Wochende um ist, muss ich aber unbedingt auch noch in den Landschaftspark. Als vor einigen Jahrzehnten im Ruhrgebiet die Lichter ausgingen und die Hochöfen erkalteten, hat man schlauerweise die Industrieanlagen nicht einfach abgerissen. Anstatt Geld zu verschwenden und die Luft durch den Abriss zu verpesten, wurden sie als Industriedenkmäler erhalten. Wie eine überdimensionale kinetische Skulptur ragen die ehemaligen Industriehallen in den Himmel während um sie herum die Natur ihr Terrain zurückerobert.

Über Treppen und Plattformen geht es nach oben, von wo man diese manchmal leicht morbide anmutende Symbiose aus Rost und Rasen in Ihrem ganzen Ausmaß bewundern kann.

Im Gegensatz zur Essener Zeche Zollverein liegt der Schwerpunkt des Duisburger Landschaftsparks nicht auf dem historischen Erbe, sondern auf Spiel, Spaß und Spannung. So befindet sich in der ehemaligen Gießerei und einem Hochofen heute ein Hochseilgarten, in dem Wagemutige über wackelige Brücken und Seilkonstruktionen bis in 50 Meter Höhe klettern können. Ehemalige Vorratsbunker wurden zu einem Klettergarten umgebaut, wo Bergsteiger und Sportkletterer üben können. Wer mehr Spaß an Tiefe als an Höhe hat, kann im ehemaligen Gasometer in Europas größtes künstliches Tauchbecken absinken.

Und auch Kunstbesessene wie ich kommen im Landschaftspark voll auf ihre Kosten. In Zusammenarbeit mit der Architektin Marta Dyachenko hat der Berliner Künstler Julius von Bismarck eine fantastische Open-Air-Installation an der nordöstlichen Ecke des Landschaftsparks geschaffen. 23 Gebäude, die in den letzten 20 Jahren im Ruhrgebiet abgerissen wurden, lassen die beiden Künstler im Maßstab 1:25 wieder auferstehen. Mit ihrer Installation, die den Namen Neustadt trägt, prangern sie die unbesonnene Stadtplanung an. Ja, Neubau ist möglicherweise billiger als Instandsetzung. Aber man sollte nicht vergessen, dass die Bauindustrie 38 % der weltweiten Kohlendioxidemissionen verursacht. Und schließlich ist der Landschaftspark Nord das beste Beispiel dafür, wie Bewahrung und Nachhaltigkeit in vielerlei Hinsicht äußerst lohnenswert sein können.

Bevor das Wochende viel zu schnell vorbei ist, lasse ich mich mit einem Köpi in der Hand in einen der Strandstühle vor der großen Industriehalle fallen. Ich lehne mich zurück und sehe der untergehenden Sonne dabei zu, wie sie den erkalteten Stahlkoloss dann doch noch ein letztes Mal zum Glühen bringt.

Fotos: Renata Green